Säuren im Fermenter und niemand merkt etwas?
Ja, denn es gibt einen Unterschied zwischen der klassischen Versäuerung und der atypischen Versäuerung.
Die klassische Versäuerung:
Bei der klassischen Versäuerung kommen die Hydrolyse-Bakterien und die methanbildenden Archaeen aus dem Gleichgewicht: Entweder werden die Hydrolyse-Bakterien mit zu viel Substrat versorgt und produzieren zu viele organische Säuren oder die methanbildenden Archaeen verstoffwechseln zu wenig der Essigsäure zu Methan.
Biogasanlagen mit einem Wasserstoffsensor im Gasmessgerät bemerken sofort den Anstieg des Wasserstoffgehaltes im Biogas und einige Tage später sinkt der Methangehalt. Jetzt zeigt auch eine Fermenteranalyse auf kurzkettige organische Säuren, einen erhöhten Essigsäuregehalt an. Erhöhte Essigsäuregehalte beginnen schon ab 1.000 mg pro Liter.
Wird dem Problem nicht entgegengesteuert, dann steigt nach ein paar Tagen auch der Propionsäuregehalt und noch später der Gehalt an Butter- und Valeriansäure an.
Ist schließlich das Puffersystem des Fermenters erschöpft, sinkt der pH-Wert, die Anlage ist übersäuert und muss im schlimmsten Fall neu angefahren werden.
Die atypische Versäuerung:
Bei der atypischen Versäuerung dagegen, steigt zuerst nur der Gehalt an Propionsäure. Die Propionsäure kann dabei Gehalte von mehr als 1.000 mg pro Liter haben. Trotzdem steigt weder der Wasserstoffgehalt im Biogas, lässt sich der Abfall des Methangehaltes beobachten. Die Biogasanlage läuft zunächst unauffällig weiter.
Da die Propionsäure nicht zu Methan umgewandelt wird, kommt es zum Energieverlust, der die Energiebilanz der Biogasanlage drastisch verschlechtert. 5.000 mg pro Liter Propionsäure entsprechen etwa 5 % Energieverlust. Gleichzeitig sind, aufgrund der verschlechterten Rohfaservergärung, häufig Schwimm- oder Sinkschichten zu beobachten.
Wenn längere Zeit die Gehalte der Propionsäure hoch sind, steigt auch der Gehalt an Essigsäure an. Der Gehalt an Essigsäure bleibt jedoch unterhalb des Gehaltes an Propionsäure. Erst dann fällt die atypische Versäuerung auf.
Biologie:
Bei der klassischen Versäuerung erhöht sich durch die freiwerdende Essigsäure der Wasserstoffgehalt im Fermentersubstrat. Der steigende Wasserstoff-Partialdruck hemmt die Bakterien, die die Propionsäure abbauen. Die nicht abgebaute Propionsäure geht in Lösung und dann steigt auch dieser Gehalt an.
Die klassische Versäuerung bekommt man recht einfach wieder in den Griff, indem man die Bakterien hungern lässt bzw. die Hemmung der methanbildenden Bakterien, zum Beispiel durch einen Spurenelementmangel, beseitigt.
Bei der atypischen Versäuerung dagegen, verschiebt sich die Zusammensetzung der Hydrolyse-Bakterien. Die Anzahl der Propionsäure bildenden Bakterien nimmt zu und diese verstoffwechseln die organische Masse vermehrt zu Propionsäure.
Da die Propionsäure abbauenden Bakterien extrem langsame Stoffwechselungsraten haben, können diese die Propionsäure nicht schnell genug abbauen und der Gehalt steigt an.
Der Gehalt an Essigsäure steigt erst später an, wenn durch hohe Gehalte der Propionsäure, die essigsäureabbauenden Bakterien gehemmt werden.
Einen ähnlichen Effekt kennen wir aus der Rinderfütterung: Im Pansen der Milchkuh liegt bei ausgewogener Fütterung das Verhältnis von Essigsäure zu Propionsäure bei 2,5-3:1. Bei rohfaserreichen Rationen entwickeln sich die Bakterien besser, die Essigsäure produzieren. Bei Rationen mit leicht verdaulichen Kohlenhydraten, die Bakterien, die mehr Propionsäure produzieren.
Ursachen:
Im Gegensatz zur Rinderfütterung wurde bei der Biogasanlage kein Zusammenhang zwischen leicht und schwerverdaulichen Substraten beobachtet, vielmehr konnten vier Auslöser gefunden werden:
- hohe Raumbelastungen, ab 7 kg TS/m³ im Fermenter.
- Temperaturen über 50° Celsius.
- hohe Ammonium-N Gehalte über 3,5% in der TM bzw. 35g/kg.
- Wenig freies Wasser.
Abhilfe:
Die Zusammensetzung der Biologie muss wieder Richtung Essigsäurebildung verschoben werden:
- Die Fütterung einstellen, bis auf Rindergülle und Rindermist
- Die Temperatur auf unter 50° Celsius senken.
- Wasser in den Fermenter einbringen.
- Ammoniak-Binder 1.0, Biofilm-Bilder oder Propionsäure-Abbauer verwenden.
- Evtl. kann langes und stärkeres Rühren die Propionsäurebildung hemmen, da dadurch Kohlendioxid ausgetrieben wird. Ein hoher Kohlendioxidpartialdruck fördert die Propionsäurebildung.
Nach zwei bis drei Tagen kann wieder langsam mit der Fütterung begonnen werden. Die Futtermenge sollte max 10% der ursprünglichen Menge betragen. Da auch die Propionsäurebakterien wieder Substrat bekommen und dann wieder Kohlendioxid erzeugen, kann es sein, dass der Methangehalt sinkt.
Ist die Biologie wieder Richtung Essigsäurebildung verschoben, kann einfach weitergefüttert werden.
Während die methanbildenden Bakterien die freie Essigsäure innerhalb weniger Tage abbauen und der Gehalt stetig sinkt, bleibt der Propionsäuregehalt im Fermenter über Wochen erhöht, da die Propionsäure nur langsam abgebaut wird.